“Auch wenn sich alles neu anfühlt: Ihr wisst längst, wie es geht...“
Paartherapeutin Dr. Sharon Brehm | lovemoves.de
Sex nach der Schwangerschaft: Intimität neu entdecken
Paartherapeutin Dr. Sharon Brehm hilft Paaren, wieder zueinanderzufinden. Die gemeinsame Geschichte, sagt sie, ist dafür eine wichtige Ressource.Die Sexflaute nach der Geburt – kämpfen alle Paare mit diesem Problem?
Dr. Brehm: Viele Paare kennen diese Flaute und ich denke, sie erleben sie nicht völlig überraschend. Wer Eltern wird, stellt sich darauf ein, dass das Sexleben erst mal Kopf steht. Darum wird die Sexflaute längst nicht von jedem Paar als Problem empfunden. Auch ich plädiere dafür, die Flaute als eine Phase anzunehmen, die nach der Geburt ganz normal ist.Trotzdem gibt es Paare, für die die Phase nach der Geburt zum echten Problem wird.
Dr. Brehm: Ja, schmerzhaft wird es, wenn beide spüren, dass sie einander nicht mehr erreichen, dass alle Bitten ins Leere laufen oder, umgekehrt, alle Wünsche nach Privatsphäre ignoriert werden. Dann wird Sex zu einem Thema, an dem sich Paare aufreiben können. Haben beide das Gefühl, sie kommen hier nicht mehr von allein zusammen, kann eine Paartherapie helfen.Was erwartet Paare in einer Paartherapie?
Dr. Brehm: Ein sicherer, intimer Raum, um über alle Themen zu sprechen, die schwierig sind, um Wunden gemeinsam zu heilen anstatt sie immer wieder aufzureißen. Wir Therapeuten fungieren dabei auch als Übersetzer: helfen, das zu vermitteln, wofür einem selbst die Worte fehlen. Außerdem erwartet die Paare hier viel Verständnis und Hoffnung: Das, was sie durchmachen, erleben viele. Und sehr, sehr vielen kann geholfen werden.Sind eigentlich beide Partner gleichermaßen Auslöser für eine Sexflaute?
Dr. Brehm: Ich möchte an dieser Stelle dazu einladen, weniger von Schuld zu reden. Viel eher sind es Unsicherheiten, die beide nach einem Erlebnis wie der Geburt einholen. Auf der einen Seite fühlt sich die Frau vielleicht nur noch als Mutter und nicht mehr sexy. Auf der anderen Seite fühlt sich der Partner womöglich ausgeschlossen, während die Partnerin dem Kind nahe ist.Total normal: In den ersten Monaten liegt der Fokus auf dem Baby. So fehlt der Fokus aufeinander. Das fühlt sich seltsam an. Nicht, weil man eifersüchtig ist oder das neue Leben schlecht ist, sondern weil es ungewohnt ist und dauert, bis sich das neue Leben natürlich anfühlt.
Wozu raten Sie Paaren in der Zeit nach der Geburt?
Dr. Brehm: Den Partner in die eigenen Gedanken reinzuholen. Etwa: „Ich habe Sorge, dass du mich nicht mehr attraktiv findest.“ Wenn ich eine ehrliche Frage stelle, hat mein Partner die Chance, mir eine Antwort zu geben – und mir oft unbegründete Ängste zu nehmen. Das ist ja die Krux: Wir reden halt nicht immer gern und detailreich über Dinge, bei denen wir uns so fühlen, als wären wir da gerade irgendwie falsch – obwohl es wichtig und ehrlich wäre. Dann ist da viel Platz für Halbwahrheiten und somit auch für Angst. Mein Rat: Lieber raus damit!Was kann Paaren darüber hinaus in der ersten Zeit der Unsicherheit helfen?
Dr. Brehm: Alltagsrituale, die die Beziehung stabilisieren: etwa fünf Minuten am Abend, in denen beide nur über sich sprechen. Oder das Kuscheln vorm Aufstehen. Das ist eine Ressource, auf die man zurückgreifen kann, wenn Veränderungen eintreten. Sich in schwierigen Phasen bewusst zu machen: Wir bringen viel mit, um auch das hier hinter uns zu bringen. Und unser Kind ist der schönste Beweis für unsere Liebe. Außerdem hilft es, sich vor Augen zu führen: Unser größtes Sexualorgan ist unser Gehirn. Sich fallen zu lassen, beginnt im Kopf. Mit dem Gedanken an Sex, der Vorfreude und einer Atmosphäre, in der wir entspannen können. Vielleicht ist das Kerzenlicht oder Musik. Diese ganz individuellen Rituale öffnen Türen zur früheren Intimität, ohne Druck zu erzeugen.„Nein“ zu Intimität zu sagen, fällt aber gerade dann umso schwerer. Haben Sie Tipps?
Dr. Brehm: Sensibel, liebevoll und trotzdem klar zu kommunizieren! Meist ist das Nein ja keine pauschale Abfuhr für immer. Vielleicht fühlt man sich gerade nicht wohl mit sich oder ist noch nicht so weit wie der/die andere. Probiert es mal mit: „Nein, aber was hältst du davon, wenn …?“ oder: „Gib mir noch etwas Zeit.“ Man kann in ein „Nein“ auch etwas Liebevolles legen. Gleichzeitig sollte man aber selbst die Initiative und Verantwortung übernehmen, wenn man Lust hat.
Der Mensch neigt ja schnell dazu, wieder an Ideale zu denken. Was raten Sie hier?
Dr. Brehm: Mein Rat: Löst euch von Idealbildern wie zweimal Sex pro Woche. Beim Sex geht es nicht um die Quantität, sondern um die Qualität von Erotik: Fühlen wir uns verbunden? Können wir einander genießen? Um die Lust wieder zu entfachen, sollten Paare darüber sprechen – positiv gerichtet: Was gefällt dir? Wann kannst du loslassen? In welcher Stellung warst du das letzte Mal erregt? Das hilft, wieder Lust reinzubekommen.Und es stärkt das Selbstbewusstsein, weil es vor Augen führt: Wie ihr den Partner glücklich macht, wie er euch erregt, das wisst ihr längst.
Zuletzt: Kann eine Beziehung ohne Sex funktionieren?
Dr. Brehm: Schon Platon hat seinerzeit eine Vielzahl von Liebestypen definiert: eine erotische, eine freundschaftliche, aber auch eine Form der Liebe, die etwas Pragmatisches hat. Das Bild heute ist auf Romantik gepolt: Frisch verliebt, supererotisch – alles, was danach kommt, ist schlecht. Für mich ist das eine Frage der Perspektive: Fehlt einem der Sex, sollte man das nicht akzeptieren. Aber es macht eine Beziehung nicht weniger führenswert, wenn einem der Sex nicht fehlt.Sagen beide: Wir fühlen uns wohl, ist alles gut. Wir Menschen sind so individuell, entwickeln uns ständig weiter – wer weiß denn, was in diesem Moment das Richtige ist, außer diese beiden Menschen selbst? Als Therapeutin fasziniert es mich: Offensichtlich hat jedes Paar viele andere Ressourcen und Gründe, dass es funktioniert. Das ist doch toll!